erzählt aus der persönlichen Perspektive von Thake Hansen-Lauff, seit 25 Jahren Leiterin von INPP Deutschland
(seit 2023 Geschäftsführerin von INPP Deutschland)
Nach der Geburt unseres Sohnes, der nach Frühgeburtlichkeit eine beinbetonte Tetraparese entwickelte, konnte ich beobachten, wie sehr eine körperliche Behinderung nicht nur die motorische Entwicklung, sondern auch die sensorische, emotionale und kognitive Entwicklung eines Kindes in den ersten Lebensjahren beeinflusst. Notgedrungen begann ich, mich intensiv mit den Interventionsmethoden zu beschäftigen bzw. sie anzuwenden, die in solchen Fällen hier in Deutschland zur Verfügung standen: Vojta, Bobath und SI.
Auf der Suche nach intensiveren Therapieansätzen wurden wir endlich auf ein Institut in Südwales/England aufmerksam, das auf der Grundlage des von G. Doman und C. Delacato in Philadelphia/USA entwickelten Konzepts intensive mehrstündige Stimulationsprogramme für die häusliche Anwendung anbot. Da war unser Sohn schon 7 Jahre alt und wir schrieben das Jahr 1989.
Nachdem wir nach diesem Konzept bereits etwa 2 Jahre täglich 6 Stunden geturnt hatten und unser Sohn von einer Schule für geistig Behinderte auf eine Regelgrundschule wechseln konnte, kam bei einem der regelmäßigen Wiedervorstellungstermine im Institut ein neues Element in das Übungsprogramm hinzu: Übungen zur Ausreifung primitiver Reflexe. Das Team des englischen Instituts hatte eine Fortbildung in Chester besucht und dort die INPP-Methode auch für ihr Institut entdeckt!
Neugierig geworden fragte ich nach verfügbarer Literatur zu diesem Ansatz und fing an, mich immer intensiver mit dem theoretischen Hintergrund dieses Ansatzes zu befassen. Dabei wurde mir klar, dass die Rolle der frühkindlichen Reflexe nicht nur in pathologischen Fällen hoch bedeutsam ist, sondern im Falle noch aktiver Restreaktionen im Verlauf der weiteren Entwicklung eines jeden Kindes eine signifikante Bedeutung gewinnen kann. Als Lehrerin und Diplompädagogin schien mir nun die Pädagogik ohne die Berücksichtigung solcher neurophysiologisch / neuromotorischen Voraussetzung für die sensomotorische, emotionale und kognitive Entwicklung als unvollständig, als fehle ihr der Unterbau, die Basis.
Dies war das Motiv, im März 1993 mit unserem Sohn vom Institut in Südwales zum INPP in Chester zu wechseln, um dort die Therapie unter Anleitung von Peter und Sally Blythe fortzusetzen. Es ergab sich für mich die Gelegenheit, an der 5. European Conference of Neuro-Developmental Delay in Children with Specific Learning Difficulties vom 5.-7.März 1993 teilzunehmen, wo ich auch das Glück hatte, Kjeld Johansen und Sheila Dobie kennenzulernen, woraus mein Engagement für das Johansen Hörtraining (JIAS) und die Methode der Bilateralen Integration (BI) resultierte, die ich später ebenfalls in Deutschland etablieren konnte.
Der direkte Kontakt an der Quelle der INPP-Methode ließ dann in mir den Entschluss reifen, mich selber am INPP Chester in der Methode weiterbilden zu lassen.
Hier nun kam mein ehemaliger Mann in Spiel, der als Professor für Pädagogik an der Universität Hamburg die Chance für ein hochschulpolitisches Projekt sah. Er entwickelte den Plan, eine Gruppe von Diplom-Pädagogik-Studenten in meiner Begleitung die Weiterbildung zu ermöglichen, um dann in einer an der Universität angesiedelten Pädagogischen Praxis Hamburger Bürgern diese Methode anzubieten und gleichzeitig den Studierenden die Möglichkeit zu geben, den Ansatz in Form von Diplomarbeiten zu evaluieren.
Im Rahmen eines Lehrauftrages mit dem Thema „Auswirkungen aberranter primitiver Reflexe auf Lernleistung in Erziehung und Schule“ bereitete ich die Studierenden im Sommersemester 1993 auf die Weiterbildung vor.
Im Oktober 1993 war es dann soweit. Als Primus inter Pares begleitete ich die Gruppe nach Chester, wo wir gemeinsam die Weiterbildung absolvierten und ein Jahr später (Oktober 1994) mit Zertifikat abschlossen. Parallel dazu habe ich 1994 in 2 weiteren Lehraufträgen mit den Themen “Vorgeburtliche und geburtliche Einflüsse auf kindliches Verhalten“ und Lern- und Erziehungsstörungen. Ihre Deutung und Behandlung aus dem Blickwinkel einer neurophysiologisch orientierten Pädagogik“ die Thematik weiter vertieft.
Es folgte eine intensive Zeit vieler Diskussionen innerhalb dieser Gruppe darüber, wie sich die INPP-Methode strukturell in die Pädagogik und in die therapeutische Landschaft Deutschlands einfügen ließe.
Im Dezember 1995 ernannte mich Peter Blythe dann zur Repräsentantin des INPP in Deutschland und damit zur Direktorin von INPP Deutschland. Er autorisierte mich dazu, die INPP-Methode in Weiterbildungskursen zu lehren Diese führte ich ab 1996 in zwei aufeinanderfolgenden Jahren zunächst an der Universität in Hamburg unter Einbindung von Peter Blythe im 3. Modul durch.
Eine erste Abspaltung ergab sich, als sich Wibke Bein, ein Mitglied der ursprünglichen Gruppe, vom INPP Chester löste und mit ‚PÄPKI‘ ein von Chester unabhängiges Konzept verfolgte.
Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf wechselte ich dann 1998 von Hamburg nach Laboe, dem bis heute zentralen Ort für die INPP Weiterbildungskurse und Sitz von INPP Deutschland.
Und so ging es weiter:
2001 gründete ich die Deutsche Gesellschaft Neurophysiologscher Entwicklungsförderer e.V., deren Vorsitzende ich in den ersten Jahren war.
2003 organisierte ich die 15. European Conference of Neurodevelopmental Delay in Children with Specific Learning Difficulties auf der Norwegenfähre zwischen Kiel und Oslo.
Seit 2006 ist meine Kollegin Anja van Velzen, die ebenfalls in der ursprünglichen „Chester-Gruppe“ dabei war, als Leiterin zuständig für INPP- Österreich und Schweiz.
Zwischen 2005-2008 wurden vorübergehend INPP-Jahreskurse unter Leitung von Dorothea Beigel in Wetzlar durchgeführt.
2007 fand der 2. Interdisziplinäre Kongress zur Kindesentwicklung in Hamburg als INPP Deutschland-Veranstaltung statt (organisiert von Editha Halfmann und mir).
Ein weiterer INPP-Deutschland Kongress fand 2011 in Rendsburg (Schleswig-Holstein) unter dem Titel „Therapie von Anfang an?!“statt, ebenfalls organisiert von Editha Halfmann und mir.
In den Jahren 2013- 2014 bahnte sich ein Konflikt zwischen INPP Chester und einer größeren Gruppe von Vereinsmitgliedern an, als sich INPP Chester entschied, zum Schutz der INPP-Methode Qualitätsstandards über einen Lizenzvertrag mit INPP-International abzusichern. Damit konnte sich eine größere Gruppe früherer Absolvent*innen meiner Kurse nicht anfreunden. Es folgte mit der DGNE eine 2. Abspaltung vom INPP Chester.
Seit 2016 werden aufgrund des immer weiter wachsenden Interesses und Nachfrage inzwischen neben Laboe an 3 weiteren Orten in Deutschland die INPP-Jahreskurse von mittlerweile 3 weiteren Ko-Trainerinnen angeboten:
Marie Plag in Bordesholm (Schleswig-Holstein)
Johanna Lauff in Müden/Örtze (Niedersachsen)
Anja van Velzen in München
Seit 2023 hat Johanna Lauff die Leitung von INPP Deutschland. Sie ist außerdem Mitglied der Internationalen Steuerungsgruppe von INPP International.
2025 finden 2 INPP-Jubiläen statt:
50 Jahre INPP Chester und 30 Jahre INPP Deutschland